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Architekt und Gesellschaft oder: „Die Würde des Architekten ist antastbar“

14. Dezember 2018

Architekt und Gesellschaft oder: „Die Würde des Architekten ist antastbar“

Der Beruf des Architekten ist ein sehr alter, eigentlich altertümlich. Die Bezeichnung kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt: ‚Oberster Handwerker‘, ‚Baukünstler‘, ‚Baumeister‘. Alle drei Begriffe haben in Bezug auf die heutige Gesellschaft einen radikalen Wandel vollzogen. Sie trafen zuletzt auf die Zunft in Zeiten der Renaissance zu, die dem Handwerk seine Wertstellung in der Gesellschaft gab, und fanden ihre maximale Verwirklichung in der Gründerzeit am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Bauen ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Vor diesem Hintergrund wird das Planen und Bauen von Gebäuden immer komplexer.

Phase 1 – Der Jurist

Die demokratische Gesellschaft hat deshalb auf verschiedenen Ebenen Erlasse und Planungsrecht geschaffen, dem sich alle unterzuordnen haben. Das ist gut so. Jedoch erweist sich dieses Recht nun als wenig anpassungsfähig und flexibel. In vielen Gemeinden ist die überwiegende Zahl der Bebauungspläne älter als 30 Jahre, stammt zum Großteil aus den 1970er Jahren.

Die Bebauungspläne haben darüber hinaus ganz unterschiedliche Qualitäten: Es finden sich reine Textfassungen und der Bezug zum Preußischen Fluchtliniengesetz ebenso wie aktuell erstellte Bebauungspläne, in denen der Plan der Textlichen Festsetzungen genauso groß ist wie der gezeichnete Plan und wo Restriktionen geschaffen werden, die teilweise so eng definiert sind, dass sie keine gestalterischen Spielräume lassen.

Am Anfang des Planungsprozesses muss der Architekt also zunächst juristische Fähigkeiten entwickeln. Er muss die verschiedenen Gesetzestexte auf Relevanz und Erheblichkeit in Bezug auf die Bauaufgabe prüfen und oft genug auch unzureichende Formulierungen auslegen lernen. Darin ist auch das Nachbarschaftsrecht eingeschlossen, dessen Auslegung ja nicht auf das Bauen selbst zielt, sondern die Rücksichtnahme auf private Belange und den Schutz des Bestehenden. Hier spätestens zeigt sich die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Notwendigkeit des Bauens und baulicher Veränderungen z.B. der Infrastruktur und dem Anspruch auf Schutz der privaten Errungenschaften.

Gerade aber auf städtischem Gebiet ist die Stadt als Ganzes der Lebensraum vieler Menschen, die gleichzeitig völlig unterschiedlichen Bedürfnissen nachgehen: arbeiten / wohnen / lernen / erholen / Kultur erleben. Wenn dies möglichst störungsfrei ablaufen soll, so ist es Anspruch der Gesellschaft, Flächen und Strukturen effizient zu nutzen, durch sinnvolle und sozial gerecht verteilte Verkehrsführung die Stadträume eng miteinander zu verzahnen und Freiräume zu schaffen, die es ermöglichen, den Gedanken der Nachbarschaft kreativ weiterzuentwickeln, denn Nachbarschaft ist eine Grundidee von Stadt.

Die Einflussnahme des Architekten auf planerische Grundzüge der resultierenden Gebäudegestalt ist äußerst gering. Wenn großmaßstäblich Vorgaben zu Einfamilienhausgebieten mit max. zwei Wohnungen gemacht werden, entspricht das nicht der Idee von Stadt im 21. Jahrhundert. Es ist auch nicht nachhaltig, die einmal verbauten Ressourcen z.B. bei Änderung der städtebaulichen Umgebung nicht einer neuen Nutzung oder einer Erweiterung zuzuführen. So schließt auch die Vorschrift eines Satteldaches Gründächer nahezu aus und verhindert, dass der Bodenabdruck der versiegelten Fläche in Form von Dachgärten sozusagen „on top“ wieder zurückgewonnen werden kann. Es könnte eine Idee von Stadtentwicklung sein, Architekten stärker in die Beratung von Stadtplanung einzubeziehen, man könnte auch durch weniger Restriktion und in der Anwendung des § 34 BauGB Vertrauen in ihre Kompetenz wagen.

Das beste Mittel ist jedoch immer noch der Wettbewerb. Hier werden mit aktuellem Bezug viele Lösungen angeboten, die in einem offenen Diskurs mit Politik und Gesellschaft zu einem der Aufgabe am besten entsprechenden Ergebnis führen. In einem integrativen Planungsprozess werden angrenzende Parameter wie Klima-, Umwelt-und Verkehrsaspekte mit einbezogen und somit schon im Vorfeld Teil des Bebauungsplankonzeptes. Neue Ideen finden Eingang in die oft träge anmutende Schaffung von Planungsrecht und die Ratspolitik erhält Entscheidungsbefugnis zur vollumfänglichen Umsetzung. Leider ist es in Deutschland nicht selbstverständlich, diese planerische Leistung auch angemessen zu bezahlen und somit scheitert genau da das Ansehen des Berufes, den Mehrwert in der Bandbreite und Vielfalt der architektonischen Lösungen zu sehen, denn die Vielzahl an Lösungen spiegelt auch die Vielzahl der gesellschaftlichen Facetten wider.

Phase 2 – Der Ingenieur

Widmet sich der Architekt nun der baulichen Ausformulierung im Entwurf des Gebäudes, so ist er zunächst mit den bautechnischen Errungenschaften der Gesellschaft konfrontiert. Diese erstrecken sich von sozialen Anforderungen wie dem barrierefreien Bauen über energetische Aspekte einer nachhaltigen Bauweise bis hin zum technisch einwandfreien Materialeinsatz robuster Baudetails, um das Gebäude möglichst lange schadensfrei zu halten. Dabei handelt es sich einerseits um DIN-Normen und andererseits um Technische Baubestimmungen, die vor 100 Jahren (ich nehme Bezug auf das Bestehen des DIN-Normungsinstitutes) etwa 200 betrugen, während das Regelwerk heute insgesamt ca. 20.000 Vorschriften beinhaltet, die mit der Erstellung von Gebäuden und Freianlagen zu tun haben und die in großer Dynamik stets weiterentwickelt werden.

Jetzt wird der Architekt zum Ingenieur und Tüftler, allen Aspekten gleichermaßen gerecht zu werden. Er kann es sich leichtmachen, indem er die Baudetails, die in der Industrie entwickelt werden, ähnlich einem Baukastensystem, in spielerischer Weise zusammensetzt. Industrie setzt auf Produktivität, also letztendlich auf Normung. Demzufolge ist es im Interesse des Herstellers, sein Produkt für Details zu entwickeln, die entweder sehr häufig vorkommen oder vom Gesetzgeber gefordert werden, wie z.B. die kontrollierte Wohnraumlüftung von Gebäuden bei gleichzeitiger Luftdichtheit nach außen. Damit obliegt den technischen Gebäudeanforderungen ein wesentlicher Anteil an den entstehenden Baukosten. Um diese zu reduzieren, ist Normung ein probates Mittel. Inwieweit aber lässt sich Architektur und damit der Mensch normen? Dies ist nicht zuletzt auch eine soziale Frage, denn sie geht einher mit einem geringen Eigenkapital des Bauherrn oder der Gemeinde. Gerade da aber ist Sorgfalt in der Gestaltung von Nöten, wo Masse produziert wird, braucht es Adressbildung und Individualität, die dem Nutzer und dem Ort gerecht werden.

Die Verantwortung, dass Bautechnik und Details sinnvoll und gestalterisch angemessen zum Einsatz kommen, übernimmt nur der Architekt. Dabei ist die Aufgabe des Architekten die eines Vermittlers zwischen den Fachingenieuren, der Bauindustrie und dem Bauherrn. Zu gering fällt die Wertschätzung auch hier aus, denn die Kompetenz des Architekten liegt genau in der Abschätzung des konstruktiven Aufwandes und daraus resultierender Folgen für die Gesamtarchitektur. Einzelne Internetrecherchen sind dabei nicht hilfreich und stellen allzu oft die Führungsfunktion und Koordinationsfähigkeit des Architekten im Planungsteam in Frage.

Phase 3 – Der Künstler

Die Qualität der Architektur bemisst sich jedoch weniger an der Bautechnik, diese wird vielmehr von der modernen Gesellschaft als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Gestalt ist nach wie vor das prägende Element, welche gerade im öffentlich wahrnehmbaren Raum die größtmögliche Wirkung erzielt. Qualität misst sich an der Einheit von Gestalt und Funktionalität eines Gebäudes. Diese wiederum definiert der Bauherr ebenso wie den Kostenrahmen.

Der Architekt muss sich schon früh durch eine Kostenschätzung festlegen, auf die er im Verlaufe des Prozesses gleich einer fixen Größe immer wieder zurückgeführt wird. Wenn sich Qualität z.B. an flexiblen Grundrissen und höheren Räumen festmacht, so ist das teuer, denn Flächenverbrauch kostet. Der moderne Mensch hat aber auch neben dem Bedarf, Wohnen und Arbeiten stärker räumlich miteinander zu verbinden, den Bedarf an mehr Abstellfläche, denn die Freizeitaktivitäten werden ebenfalls immer komplexer. Bei gemeinschaftlichen Vorhaben ließen sich dergleichen Ideen durch „sharing“ besser planen. Bei Investitionen für in der Planungsphase unbekannte künftige Käufer ist dies schwierig. Hier wird der Investor immer versuchen, seine Erfahrungen aus herkömmlichen Modellen durchzusetzen. Und bei privaten Bauherren ist oft der Einmalaspekt gegeben, dass eine Familie mit einem nicht allzu üppigen Budget bei Gründung baut und ein Leben lang den Kredit abzahlt.

Erst jetzt wird der Architekt zum Künstler, indem er leistet, aus dem vorhandenen Budget zahlreich gute Qualitäten abzuschöpfen. Wenn man ihm diese Kompetenz abspricht, wird der Beruf zur Dienstleistung und das Ergebnis beliebig. Dies nimmt in dem Maße zu, in dem die Immobilie zum Kapital wird. Gerade die Wohnung ist aber keine Ware, die konsumiert wird, auch nicht der Arbeitsplatz. Vielmehr findet sich gute Architektur immer dort, wo Bauherr und Architekt gemeinsam eine Lösungsidee entwickeln, und der Architekt in die Lage versetzt wird, diesen Vorstellungen eine Form und Raum zu geben, ergebnisoffen.

Ausblick

Wie aber ist die junge Generation auf den Beruf vorbereitet? Im Studium wird der Schwerpunkt auf Theorie und Wissenschaft gelegt sowie auf die Grundidee des freien Entwerfens. Erst in den Architekturbüros findet die fachliche Qualifikation statt mit dem Erlernen und Begreifen der Rahmenbedingungen. Somit sind die freien Architekten aufgrund ihrer Erfahrung notwendige Ausbilder, um die universelle Tätigkeit unseres Berufes komplett zu machen.

Manche Kolleginnen und Kollegen plädieren für mehr Praxisnähe im Studium. Ich tue dies nicht. Vielmehr bemängele ich den Ruf des Architekten in gegenwärtigen Bauprozessen. Wenn die Studierenden zur Selbständigkeit im Denken und Kreativität im Entwurf angehalten werden, frei von Konventionen und vielmehr mit Umsicht zu den vorhandenen Lebensrealitäten, so finde ich das eine wichtige Grundvoraussetzung. Was bedeutet das aber, wenn diese jungen Leute dann ihren Beruf nicht ebenso selbstbewusst und mit gesellschaftlicher Anerkennung ausüben können? Wenn sie sich ständig in Rechtfertigung, Erklärung und juristischer Auseinandersetzung befinden? Wenn die Diskussion der Stadtgesellschaft nur auf den finanziellen Einsatz der Mittel fokussiert wird und nicht auf das Ergebnis für die Zukunft?

Meine Damen und Herren, geben Sie den Planern, Architekten, Ingenieuren das Vertrauen und die Wertschätzung zurück, die der Profession innewohnt und vertrauen Sie auf deren Sozialkompetenz, denn die wenigstens Architekten sind ihr eigener Bauherr.

 

Die Welt ist nicht nur ein Markt.

Der Mensch ist nicht nur ein Konsument.

Der Architekt ist nicht nur ein Dienstleister.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Ines Knye, Vorsitzende BDA Bonn- Rhein-Sieg, 20.11.2018